Horizon Zero Dawn – Ausbruch aus dem Collectibles-Dilemma. Ein Blick auf die Möglichkeit ein Spiel um tiefgreifende Narrative zu erweitern.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Autorin Marylin Marx.
Collectibles sind mittlerweile ein wichtiger Teil der Spielerfahrung geworden.
Wir finden sie in Form von Riddler-Trophäen in den Batman-Spielen oder Krog-Samen in The Legend of Zelda: Breath of the Wild in der gesamten Spielwelt. Oftmals sind wir dabei gezwungen, von unserem eigentlichen Weg in Richtung Haupt- oder Nebenquest abzuweichen um irgendein Rätsel zu lösen.
Belohnt werden wir dann mit einem dieser sammelbaren Gegenstände. Mit wenig Abwechslung, dafür aber zum Teil schweren Aufgaben, erscheinen viele Collectibles eher wie eine Beschäftigungstherapie um das Spiel künstlich in die Länge zu ziehen. Alle Gegenstände zu sammeln ist ein aufwändiger Akt, während die Belohnung sich auf Trophäen oder Gegenstände beschränkt, die je nach Spiel unterschiedlich nützlich sind.
Es geht auch anders
Nichtsdestotrotz gibt es Titel, die Collectibles sinnvoll einsetzen. So tragen die Anomalien und Briefe, die wir in Oxenfree sammeln können, zu einem tieferen Verständnis der Geschichte bei. Besonders eindrucksvoll zeigt aber Horizon Zero Dawn, wie Collectibles sinnvoll eingesetzt werden können und wie sie die Open World beleben.
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Blumen, Figuren, Tassen und Punkte
Wer Horizon Zero Dawn bereits gespielt hat weiß, dass wir in der post-apokalyptischen Welt eine Menge Collectibles sammeln können. Neben rituellen Gefäßen, Aussichtspunkten, Banuk-Figuren und Metallblumen gibt es vor allem eine Fülle an Datenpunkten, die sich in jedem Winkel der Spielwelt verstecken. Während wir beim Sammeln der ersten vier Gegenstände mit Rüstungskisten oder Maschinenteilen belohnt werden, verschaffen uns die Metallblumen sogar Zugang zur übermächtigen Schildweberrüstung. Nebenbei rieselt es natürlich auch allerlei Playstation-Trophäen, die wir nach Komplettierung der einzelnen Sets und Gegenstände erhalten.
Einzig und allein die Datenpunkte bilden eine Ausnahme: Obwohl sie dadurch auf den ersten Blick uninteressant erscheinen, verbirgt sich hinter den Audio-, Hologramm- und Text-Datenpunkten eine ganze Reihe an positiven Aspekten. Sie lassen die Open World von Horizon Zero Dawn erst lebendig erscheinen und verleihen ihr eine Tiefe, die wir auf freiwilliger Basis erkunden können.
Ungehörte Geschichten, ungesehene Bilder
Obwohl das Spieldesign Orte erschafft, die uns staunen lassen, fehlt es ihnen oftmals an Leben. Wir verbinden keine Ereignisse und keine Geschichten mit diesem schönen Stück Grafik, sodass es maximal wie ein nettes Gemälde in unserer Screenshot-Galerie verstaubt. Diesem Problem arbeitet Horizon Zero Dawn daher mit Audio- und Hologrammdatenpunkten entgegen. Vorausgesetzt, wir hören und sehen hin.
Die Aufnahmen sind in der deutschen, sowie in der englischen Version des Spiels eindrucksvoll und atmosphärisch in Szene gesetzt. So erscheinen viele Ruinen, durch die wir uns während des Spiels wagen, lediglich verlassen. Entdecken wir jedoch Hologramm- oder Audiodatenpunkte, erzählen uns längst verstorbene, namenlose Menschen aus der Prä-Apokalypse ihre Gedanken und Gefühle. Dadurch geben sie ihrer Umgebung nicht nur eine Bedeutung und Geschichte, ihre oftmals melancholischen oder verzweifelten Nachrichten üben auf uns auch eine emotionale Wirkung aus. Wir nehmen an ihrem Schicksal teil und haben Mitgefühl.
Leider beschränken sich viele der aufgenommenen Nachrichten auf traurige oder verzweifelte Augenblicke, wodurch sich ein einseitiges Stimmungsbild abzeichnet. Viel zu selten gibt es auch fröhliche Nachrichten wie die Geburtstagsgrüße an einen Jungen namens Isaac, die ihm sein Vater per Hologramm-Botschaft aufnimmt und die wir zu Beginn des Spiels in einer Ruine entdecken.
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Verlorenes Wissen
Während eine Großteil der Audiodatenpunkte direkt mit den Geschehnissen rund um die Apokalypse zu tun hat, sind die Textdatenpunkte durchaus vielfältiger in ihrem Informations- und Emotionsgehalt. Verstreut in der gesamten Spielwelt von Horizon Zero Dawn lassen sich diese prä-apokalyptischen Relikte in Form von E-Mails, Logs, Berichten oder Tagebucheinträgen finden. Diese Art von zusätzlichem Wissen kennen wir beispielsweise auch aus Fallout oder Divinity Original Sin.
So gilt auch in Horizon Zero Dawn: Wer sich die Zeit nimmt und etwas hartnäckig ist, kann eine ganze Menge mehr über die Lebensumstände vor der Apokalypse erfahren, die sehr an eine mögliche Zukunftsvision unserer Realität erinnern. Erneut wird eine Ebene geschaffen, die versucht den Spieler persönlich abzuholen, die beispielsweise durch E-Mails von Rezeptionen an Geschäftsführungen zwar weniger emotional, dafür umso immersiver erscheint. Anstatt ständig auf die Tränendrüse zu drücken, wird ein umfassenderes Bild der Prä-Apokalypse gezeichnet.
Was dabei allerdings etwas zu kurz kommt, sind Texte über Aloys Gegenwart und Vergangenheit. Nur insgesamt 18 sogenannte Glyphen geben Auskunft über die Kulturen der einzelnen Stämme. Wollen wir dennoch mehr über die Carja, Osram, Banuk oder Nora erfahren, können wir viele NPCs in ein Gespräch verwickeln und erhalten damit zumindest kleine Einblicke in das Leben der Bewohner.
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Das alles erfordert viel Mühe, da die einzelnen Datenpunkte nur angezeigt werden, wenn wir uns in ihrer unmittelbaren Nähe befinden. Das Spiel stellt uns somit frei, wie viel Zeit wir in die Erkundung der Welt investieren wollen und ob uns der Preis angemessen erscheint.
(Grenzenlose) Freiheit
Horizon Zero Dawn bietet uns somit eine Freiheit, die uns Open-World-Titel wie beispielsweise Dragon Age: Inquisition versuchen, durch Trophäen schmackhaft zu machen. Die Entscheidung, keine Belohnung außer das reine Wissen in Aussicht zu stellen mag für einige Spieler unattraktiv sein. Es ist aber das höchste Maß an Freiheit, das uns ein Spiel im Bezug auf Collecitbles geben kann. Dadurch werden die Sammelgegenstände kein Punkt der langen To-Do-Liste auf dem Weg zur Platin-Trophäe, sondern eine Einladung, ein wenig länger in Horizon Zero Dawn zu verweilen. Es lädt dazu ein, jeden Winkel des Spiels genau zu untersuchen und auf eine Entdeckungsreise abseits der Hauptstory zu gehen. Wir können selbst entscheiden, wie tief wir in die Spielwelt eintauchen wollen.
Diese Freiheiten und die Variabilität an Datenpunkten lässt die Spielwelt von Horizon Zero Dawn ungezwungen und lebendig wirken und zeigt ganz nebenbei, dass Collectibles keine lästige Zwangsbeschäftigung auf der Trophäenjagd sein müssen.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Autorin Marylin Marx.