Das eine Spiel sie alle zu binden – und zurück zum Splitscreen zu bringen. A Way Out versucht mit modernen Mechaniken und Life is Strange Einflüssen eine verloren geglaubte Tradition zurückzubringen, verzeiht es aber auch, wenn die Spieler lieber mit Headset kommunizieren.
Für schlappe 25-30 € darf ein Spieler in das virtuelle Gefängnis einziehen. Einer? Zwei sogar! Denn nur einer muss sich das Game wirklich kaufen. Der andere kann sich die Daten kostenlos aus dem Store laden und spielt dann einfach die „Trial Version“, also die Variante, die nur mit der Einladung durch den Host funktioniert. Bei im Vorfeld geschätzten sechs Stunden Spielzeit bedeutet das 2,50 € oder weniger pro Stunde (bei geteilter Rechnung). Ein fantastischer Wert – auch im Vergleich mit weitaus größeren Titeln.
First World Problems
Trotzdem wurden in den ersten Tagen nach Release Stimmen laut, das Spiel wäre zu schnell vorbei. Aber spielen und genießen sind immer noch zwei grundverschiedene Herangehensweisen. Sicher, wer nur die Story rushed und lediglich die zum Weiterkommen benötigten Rätsel löst, wird nicht viel mehr als einen längeren Abend haben. Allerdings bietet A Way Out so viele kleine Gimmicks und Minispiel-Aktivitäten, die sogar kompetitive Einflüsse haben. Hufeisenwerfen nach Punkten? Miniatur-Guitar-Hero auf dem Banjo? Immer her damit! Entspannt auf das Sofa setzen und fernsehen funktioniert übrigens auch.
Moment, das klingt so gar nicht nach Knast. Richtig! Denn der Ausbruch ist relativ schnell geschafft. Mit etwas Geplänkel und ein paar misslungenen Versuchen schnuppern die Spieler den süßen Duft der Freiheit nach etwa zwei Stunden. Allerdings geht die Geschichte noch ein gutes Stück weiter. Also ganz stilecht auf der Flucht sein, sich umziehen, ein Auto beschaffen, vor Hunden weg sprinten und über große Abgründe springen. Die Klischees sind stark in A Way Out, jedoch funktionieren sie auch wunderbar. Natürlich werden entsprechende Stereotypen auch im Gefängnis schon bedient. Die Wäscherei gehört zu den schwächeren Gliedern der Sicherheitskette, „Lieferungen“ geschehen über den Bücherwagen und – wie könnte es anders sein – Prügeleien und Mord.
Achtung! Keine Spoiler!
Zur Story ist es schwierig etwas zu sagen, da eigentlich jede Information einen mehr oder minder großen Spoiler darstellt. Grob heruntergebrochen verkörpern die Spieler zwei Zellennachbarn, die wegen eines gemeinsamen Feindes zusammen ausbrechen wollen und sich dann auf die Suche nach dem Ziel ihrer Vendetta machen. Auf dem Weg dorthin warten mordlustige Mithäftlinge, motivierte Wächter und vorzügliches Knastessen. Chronologisch kann das Spiel zur Zeit des Vietnamkriegs verortet werden.
Vincent, Vincent, der Trizeps brennt.
Auf dem Gefängnishof kann trainiert und ein Dip-Rekord gebrochen werden. Theoretisch zumindest. Mit jeder Wiederholung wurde die Ausführung schwerer (schnelles Tippen einer Taste). Bei dem verlangten 20. Dip wollte auch die beste Verkrampfungstechnik nicht mehr reichen. Klimmzüge, Sit-Ups – Bodybuilder kommen auf ihre Kosten. Leider haben die Übungen keine weiteren Effekte, was aufgrund der Kürze des Aufenthalts aber auch kaum realistisch gewesen wäre.
Scofield? Sucre?!
Das Game erlaubt übrigens mehrere Speicherdaten, das heißt, der Host kann die Geschichte parallel mit mehreren Mitstreitern spielen, läuft dadurch aber auch Gefahr, sich selbst zu spoilern. Grundsätzlich erinnert sehr viel an die TV-Serie Prisonbreak, auch in kleineren Details. Wer die erste Staffel gesehen hat, sollte bei „Krankenstation“ und „reißende Strom-/Telefonleitung“ hellhörig werden. Es fällt schwer von Assoziationen wegzukommen.
Aber schlimm ist das keineswegs. Immerhin haben es die Macher seinerzeit versäumt, ein ordentliches Spiel zur Serie auf den Markt bringen zu lassen. Also ist A Way Out auch eine Art Wiedergutmachung aus fremder Feder. Vielen Dank dafür!
Alles auf Anfang
Im Test fand das Gameplay an zwei über PS Plus verbundenen Konsolen statt. Splitscreen-Feeling ade? Keineswegs, denn das Game lässt sich nicht von der Moderne verbiegen. Der Bildschirm wird einfach trotzdem geteilt. Nur in bestimmten Sequenzen und Cutscenes füllt eine Ansicht den ganzen Monitor. Ein komisches Gefühl, aber im Laufe der Zeit unglaublich packend. Ständig wandert der Blick auf die fremde Hälfte, immer will man wissen, was dort gerade passiert. Aber einmal im falschen Moment die Augen abzuwenden kann an Abgründen oder in Schleichpassagen sehr bitter enden. So wird die ohnehin tolle Inszenierung noch weiter intensiviert.
Gespräche, die der andere führt können audiovisuell mitverfolgt werden. Sollten beide Charaktere gerade mit NPCs kommunizieren, wird die eigene Sichtweise präferiert, ist also deutlich lauter zu vernehmen. An einigen Stellen verpasst man so doch ein wenig der anderen Sicht – ein absoluter Wiederspielgrund. Denn auch die kleinste Unterhaltung kann nützliche Informationen oder eine interessante Geschichte enthalten. Zudem unterscheiden sich die Antworten der Menschen teilweise sehr stark, je nachdem ob sie die Unterhaltung mit Vincent oder Leo führen.
Erkundungsenthusiasten können sich zwar nicht weiträumig verlaufen, bekommen aber genug Möglichkeiten zusätzlich Zeit zu verbringen. Dem Mitspieler mit der großen Nase von Leo ins Bild zu laufen ist übrigens ein grandioser Spaß für den inneren Troll.
Ein Auge fürs Detail
Die Grafik ist in einem einfachen, aber schönen Stil gehalten. A Way Out reißt wahrlich keine Bäume aus, zeigt aber gerade in der Natur nach dem Ausbruch viel Potenzial. Auf Basis dieser Spielwelt könnte noch einiges entstehen. Die Untergrund-Geräusche sind sehr fein gesetzt. Büsche, Gras, Kies, Wasser – alles reagiert auf die Position des Spielers. Heutzutage eigentlich keine Meisterleistung mehr, aber es gibt genug AAA-Titel, die das nicht schaffen. Im späteren Spielverlauf funktionierte das unter anderem bei Pfützen jedoch nicht mehr so gut.
Kleinere Aufgaben wie Fische zu fangen beleben vermeintlich simple Passagen und sind zum Teil gar nicht mal so leicht. Im Gegensatz zu anderen modernen Point & Click Spielen ist die Steuerung sehr intuitiv und flüssig. Gerade in schnellen Passagen mit Hindernissen blitzt Assassins Creed im Hinterkopf auf. In Unity war das aber bei Weitem nicht so angenehm. (Grüße gehen raus an Ubisoft!)
A Way Out – Die Protagonisten
Die Charaktere Vincent und Leo werden in sehr kurzer Zeit eingeführt und im weiteren Verlauf vertieft. Eine liebevoll empfundene Bindung baut sich zwar nicht auf, aber unsympathisch sind sie in keiner Weise. Neben dem gemeinsamen Widersacher verbindet beide der Bezug zur eigenen Familie. In ihrer Art sind sie jedoch grundverschieden.
Während Vincent sehr friedliebend und umsichtig durch die Welt geht, ist Leo eher aufbrausend und auf aggressivere Lösungen bedacht. Der etwas jüngere Leo kann zudem auf seine Frau setzen, die ihn in allem unterstützt – Vincents Angetraute verliert sich vermehrt in Vorwürfen. Zurecht.
Vincent und Leo im Steckbrief
Eines der zentralen Elemente ist die an Life is Strange erinnernde Entscheidungsfindung. An mehreren Stellen (nach dem Ausbruch) bekommen die Spieler die Wahl zwischen zwei Vorgehensweisen. Die gemäßigte Vincent-Art oder die Hau-drauf-Leo-Taktik. Im Test war Vincents Idee stets die Wahl, man will ja niemandem schaden. Der Versuch sich gegeneinander zu entscheiden war nicht von Erfolg gekrönt. Entweder man wird sich einig, oder es geht nicht weiter. Übrigens, wenn Vincent einer rauen Idee von Leo folgen will, muss er durch intensives Tastentippen zustimmen – quasi als letzte Hemmschwelle.
Leo boxt sie alle
Im späteren Verlauf laufen die Mechaniken zur absoluten Hochform auf. Die Perspektive war mit einem Mal dreigeteilt, selbst die Sicht des Gegners konnte durchgehend beobachtet werden. Es gibt ein „Vier-Gewinnt“, das gegen den realen Mitspieler ohne jegliche Zeitbegrenzung gespielt werden kann und sauberer programmiert ist, als zum Beispiel das Stand-Alone UNO-Spiel von Ubisoft (Grüße gehen nochmal raus!).
Wenig später sind die Protagonisten wieder auf der Flucht und erleben ein Actionfilm-Spektakel ohnegleichen. Kein Splitscreen, sondern Kamerafahrten und schnelle Szenenwechsel erhöhen die Intensität um ein Vielfaches. Plötzlich fand sich Leo in einem Sidescroller-Beat-Em-Up wieder. Mit derartig sauberen Animationen, dass ein eigenes Spiel in dieser Art ein nachvollziehbarer Wunsch wäre.
Ballerei und Ernüchterung
Ach und dann ist da noch ein Pong-Klon-Automat, der ebenfalls kompetitiv gegeneinander bedient werden kann. Eine Prise Fortnite/PUBG fand sich kurz darauf ebenfalls – mit einem kleinen Twist. Leo hat übrigens Höhenangst. Auch eine richtige Shooter-Sequenz bekommen die Spieler serviert. Hier ist die Steuerung allerdings nicht ganz perfekt, aber wer will hier auch eine eSport taugliche Zielfindung erwarten.
Das Ende (bzw. die Enden) ist in gewisser Weise überraschend, aber auch irgendwie logisch. Die Herangehensweise wirkt leider etwas gezwungen, lässt an Logik vermissen und bedient ein letztes, zu starkes Klischee für Actionfilme. Alles in allem ist es aber ein würdiger Abschluss für ein großartiges Spiel. Allerdings wäre eine dritte Alternative für das absolute Finale noch ein schönes Extra gewesen. So lässt uns A Way Out mit vielen schönen Stunden und einem Gefühl der Leere zurück. Das schaffen nicht viele Spiele.
Fazit
Unter dem Strich ist A Way Out ein kleiner, aber feiner Splitscreen-Spielfilm, der mit Schleichpassagen, Quicktime-Events, Ballerei und viel Kommunikation funktioniert. Das Game hat einen hohen Spaßfaktor und darf auch nach kurzer Zeit ein weiteres Mal von Neuem begonnen werden, da bei einem Durchgang definitiv nicht jedes feine Detail erlebt werden kann. Dazu zählen auch die Entscheidungen zwischen Vincents und Leos Vorgehensweise. Außerdem möchte jeder Spieler auch beide Perspektiven aus erster Hand erleben können. Als einziger, mit viel Mühe hochgewürgter Kritikpunkt kann eigentlich nur die Charaktereinführung genannt werden. Der Aufbau geht eventuell etwas zu schnell, um für den weiteren Verlauf eine emotionale Bindung aufzubauen. Andererseits sieht man so seinen Mitspieler deutlicher vor Augen und erlebt das Geschehen ein Stück weit persönlicher. Zudem kommt der Schlag in die Fresse spätestens im letzten Kapitel.
Um also zur Preis/Leistung zurückzukommen – einfach grandios. Kritik an der Preisgestaltung in Bezug auf die Dauer des Spiels ist schlichtweg ignorant. Einer zahlt das Game, der andere die Pizza und die Getränke. Vielleicht sogar an mehreren Abenden.
Deal?