Zum ersten Mal habe ich mich als Frau von einem Artikel diskriminiert gefühlt.
Selten hab ich so viel Ignoranz zur Gamingszene gelesen, wie im Beitrag der Emma zur Gamescom vom 10. August. Eine Autorin brach zur Messe auf, um die Themen Frauen im Gaming, Awareness und Equality in Augenschein zu nehmen. Dass der Artikel bereits unter dem Thema Sexismus eingeordnet ist und die persönliche Punktevergabe nach Zufallsprinzip und Präferenzen der Autoren verläuft, zeigt bereits die Intention des Vorhabens. Männer sollen angeblich beim Anblick der EMMA zu Staub zerfallen. Ich habe großartige Neuigkeiten für euch: Feminismus bedeutet Chancengleichheit für alle und kein Umschwenken von Misogynie (Frauenhass) auf Misandrie (Männerhass). Nachdem es scheinbar bereits an den grundlegenden Definitionen mangelte, war die einzige Information, die sich die Autorin zu besorgen schien, ein Tipp von einem Freund zur „Indie Arena Booth“, weitere Recherchen oder das Besuchen von mehr als zwei Hallen waren scheinbar nicht nötig.
Rückblick: Seit meinem achten Lebensjahr bin ich nun auf LANs unterwegs, rette oder zerstöre Welten, decke Verschwörungen auf, jage Drachen und manchmal Pokemon. Ich kann ruhigen Gewissens behaupten: in diesen vergangenen 18 Jahren hat sich im Gaming nicht nur die Grafik gewandelt. Laut einer Studie der BIU ist in der Zwischenzeit fast jeder zweite Computer – und Videospieler weiblich. Aber gehen wir das ganze erstmal Stück für Stück durch, denn es gibt einiges darüber zu berichten.
Auf der Gamescom sind an sich viele Frauen zu finden. Ob als Spieler, als Entwickler oder bei den Shows auf einer der zahlreichen Bühnen. Letzteres schien der Autorin stark zu missfallen. Wobei sich mir hier die Frage stellt, wieso sie diese nicht befragt hat. Lieber urteilte sie von weitem darüber, dass die „Mädels in Hotpants“ notwendig sind. Ich bin so frei, ihr diesen Teil der Recherche abzunehmen, denn beim Schlangestehen habe ich mich des Öfteren mit einigen dieser Frauen unterhalten. Eine erklärte mir im Detail, welche Panzer bei World of Tanks ihrem eigenen Spielstil nicht entgegenkamen und empfahl mir für ein schnelles Spiel prompt andere Modelle und Taktiken. Die Unterhaltung dauert knapp 20 Minuten, die Dame wusste, wovon sie redete. Als ich Wärmeleitpaste, die ich bei Caseking gewonnen hatte, an eine Bekannte weitergeben wollte und diese mich fragte, wie genau sie das nutzen soll, hörte unser Gespräch eins der “Boothbabes” von eben diesem Stand. Sie erklärte meiner Freundin im Detail den Nutzen und gab ihr noch Kontaktdaten, falls sie auf Probleme beim Ausbauen der Teile stoßen sollte. Nachdem ich noch eine Weile mit der jungen Dame geredet hatte, stellte ich fest, dass sie einen besseren Rechner als ich besitzt, selbst zusammengestellt und – gebaut, versteht sich. Anstatt von weitem darüber zu urteilen, dass es entwürdigend oder überflüssig ist, was diese Frauen machen, hätte man auch ruhig ein zwei Sätze mit ihnen wechseln können. Die Entscheidung, was entwürdigend ist, obliegt nämlich nicht der Autorin, sondern den betroffenen Frauen. Fühlen diese sich wohl in ihrer Haut und genießen was sie tun, ist es ihr gutes Recht, Boothbabes zu sein. Die Autorin von EMMA tat das, was sie der Männerwelt vorhält: sie negierte die Intelligenz und die Würde der Damen von weitem, weil sie knapper bekleidet auf der Bühne waren, als es ihrer eigenen Vorstellung entsprach. Feminismus und Equality bedeutet nicht, dass man sich aussucht, welche Frau man in ihrer Darstellung unterstützt und welche nicht. Alle sind gleichgestellt, ob Entwickler oder Boothbabe. EMMA zeigt sich hier nicht als jemand der auf die Probleme hinweist, sondern als Teil des Problems.
Einige der Mädels sind hierbei aber auch Cosplayer, wie beim Publisher Blizzard. Wer sich auch nur kurzfristig mit der Cosplayszene beschäftigt wird feststellen, dass Frauen hier das dominante Geschlecht sind. Männliche Cosplayer die sich in große Rüstungen schmeißen sind selten, auch wenn die Zahl langsam steigend ist. Einen davon hat die Autorin von Emma als Pyramid-Head selbst gesehen. Er trug nebenbei bemerkt ein Schwert, keine Axt, wie sie es fälschlicherweise identifizierte. Die Masse an weiblichen Cosplayern bedeutet aber keinesfalls, dass die Mädels nur Plattenbikinis und Kleider tragen. Viele cosplayen männliche Charaktere. So tauchte beim Blizzard Cosplaywettbewerb ein männlicher Zwerg mit samt bodenlangem Bart auf, der von der Menge lautstark bejubelt wurde. Der Cosplayer, der sich hinter dem Bart versteckte, war weiblich und nachdem diese Information raus war, feierte die Menge sie noch mehr. Gewonnen hat den Wettbewerb übrigens Oni Cosplay als Barbarin aus Diablo 3. Mit der Gewinnerin wurde kein elfenhaftes Aussehen oder das perfekte Körpergewicht angepriesen. Oni ist sicherlich kein Leichtgewicht, genauso wenig wie ihre massive Rüstung mit der sie gleich zweimal so groß und einschüchternd auf der Bühne wirkte. Sie wirkte wie die wirkliche Barbarin aus Diablo, die für einen Tag aus dem Spiel zu uns gesprungen ist.
Bleiben wir doch gleich bei den Darstellungen in Spielen selbst. Wie schon erwähnt, die Barbarin aus Diablo ist muskulös. Man glaubt ihr, dass sie ein Schwert – so groß wie sie selbst – tragen und auch nutzen kann. Im alten Blizzard Spiel Starcraft ist eine der Hauptcharaktere Kerrigan, die Königin der Klingen. Sie sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch noch eine der gefürchtetsten Taktikerin in diesem Universum, steuert eine eigene Spezies und ist tödlich für ihre Gegner. Overwatch trumpft mit Diversität auf. Zarya ist Bodybuilderin, der man dies auch ansieht, und trägt eine Waffe, die kaum größer sein könnte. Pharah steckt in einem Ganzkörperpanzer. Das letzte Mal, als ich EAs Cash Cow Sims gespielt habe, konnte meine Sim Astronaut werden. Fifa 16 beinhaltet nun auch Frauenfußballmannschaften. Square Enix steckt in ihrem MMORPG Final Fantasy XIV nicht nur Frauen, sondern auch Männer in freizügige Plattenbikinis. Einige Stationen weiter sieht man das neue Spiel Horizon Zero Dawn. Der Hauptcharakter ist eine weibliche Jägerin namens Aloy. Optionen einen männlichen Charakter zu spielen gibt es nicht. Es ist traurig, dass ich einen Artikel schreiben muss und das extra hervorhebe, aber: sie ist vollständig angezogen, hat keine übergroßen Brüste, die herausquellen, keinen kurzen Rock unter den man mit der Kamera blicken kann. Ihre Sachen sind bequem und für die Jagd tauglich, denn genau das ist es, was sie macht. Auch Firmen wie Ubisoft lernten schnell dazu. Nach einem Shitstorm zum Mangel an weiblichen Assassins reagierte man im neuen Assassins Creed Syndicate mit Evie Frye. Auch hier als Anmerkung: kein Dekolleté oder ähnliches. Sie trägt die gleiche geschlossene Kluft, die wir bereits von ihren männlichen Mitstreitern kennen.
Natürlich gibt es immer noch Spiele, die mit muskulösen Helden werben. Es wäre auch langweilig wenn nicht. Diversity, remember? So ist auf den Plakaten von Deus Ex, die der Autorin wohl nach einem Hinweis auch nicht gefielen, JC Denton in einer Welt in der die Menschheit sich in zwei Lager teilt: Menschen mit synthetischen Verbesserungen am Körper und Menschen ohne. Die Spielserie behandelt das Thema Diskriminierung, Apartheid und Ausgrenzung. Kaum ein Spiel zeigt einem die Konsequenzen und Grausamkeiten dieser Dinge auf und trägt offen zur Aufklärung bei. Dabei ist Jensen seit dem Jahr 2011 der Hauptcharakter und seine Geschichte wird erzählt. Eine plötzliche Geschlechtsumwandlung würde den Verlauf der Story stören und gezwungen wirken. Genau so wenig wie Link aus Legend of Zelda auf einmal zu Linklina werden kann. Etablierte Helden einer Videospielreihe haben ihre Existenzberechtigung und ihre eigenen Geschichte, die uns erzählt wird. Sie auf Grund ihres Geschlechts als schlechter oder überflüssig einzustufen ist übrigens Sexismus. Der funktioniert nämlich in beide Richtungen. Fünf Minuten Google hätten hier geholfen, anstatt blind über Plakate zu urteilen.
Bleiben wir bei Diversity. Eine Spielserie, die zwar auf der GC nicht vertreten war, aber nichts desto trotz erwähnt werden muss, ist Dragon Age. In RPGs wie diesen ist eine freie Charakterwahl zwischen männlich und weiblich übrigens bereits seit Baldurs Gate (1998) Normalität. Ende 2014 kam der dritte Teil der Serie heraus und zeigte ein Verständnis für die soziale Struktur und den berechtigten Aufschrei nach Repräsentation der LGBT Community. So finden sich hier bei den Romanzenoptionen der pansexuelle Iron Bull, sowie die pansexuelle Josephine, die lesbische Elfe Sera und der schwule Magier Dorian. Besonders hervorzuheben ist allerdings wohl Krem, denn er ist Transgender. Als Frau geboren, aber fühlt sich als Mann und lebt auch als einer. Dies stieß nicht nur bei seinen Kollegen im Spiel auf Verständnis und Zuspruch, denn die Fans der Spieleserie und besonders seiner Figur fingen an, sich auf Social Networks „Smooth Kreminals“ zu nennen und zeigten ihre Unterstützung zu dieser fiktiven Figur und was sie repräsentiert.
Aber wie sieht es nun für Frauen in der Entwicklerbranche aus. Längst bröckelt die Männerdomäne. Assassins Creed, eine der wohl bekanntesten und beliebtesten Spielserien, ist hier wohl als großes Beispiel zu nennen. Jade Raymond ist die Produzentin, die diese Serie ins Leben rief. Caroline Miousse war für die Gestaltung und Umsetzung von Notre Dame in Unity verantwortlich, dem größten und aufwendigsten Bau des Spiels. Kim Swift ist für das allseits beliebte Portal und den Zombieshooter Left 4 Dead verantwortlich, um nur die größten Köpfe dahinter zu nennen. Für die Entwicklung eines Spieles sind mehr Leute notwendig denn je, weshalb die Firmen nach Fachkräften und Spezialisten unabhängig vom Geschlecht suchen. Natürlich sind die Darstellungen nicht perfekt, Über-Sexualisierung und Stereotypen spielen immer noch eine Rolle, aber jede Firma lernt dazu. Man kann ein System und die Denkweise der Leute nicht mit dem Vorschlaghammer zur Änderung zwingen. Es ist ein langsamer Prozess und wir sind in den letzten 20 Jahren einen weiten Weg in diese Richtung gegangen. Die Zeiten, in denen ein weißer, muskulöser Mann das Privileg hatte, die Welt zu retten sind lange vorbei. Die Spieler schreien nach Diversität und die Gaming-Firmen antworten mit Zustimmung.
Einer der Gründe für den Mangel an Frauen in diesen Fachgebieten und die falsche Vorstellung vom Feminismus ist allerdings wohl das Bild, das von Medien wie EMMA u.a. verbreitet wird. Diese schürt immer noch das Vorurteil, dass Frauen nur als Dekoration und nicht als ebenbürtige Mitglieder in Entwicklung und als Spieler gelten. Wobei sie dabei selbst die Frauen verurteilt oder ignoriert, die in ihrer Vorstellung dort entwürdigend oder fehl am Platz sind. Mir kam bis heute noch kein Spiel unter die Finger, bei dem ich angeben musste, dass ich eine Frau bin und der Schwierigkeitsgrad dann um 3 Stufen sank oder das Spiel mir mitteilte, dass ich vor dem Bildschirm nichts verloren hab. Im Spiel sind wir gleich, ob wir Achievements jagen, Taktiken tüfteln oder einfach nur sinnlos auf einander schießen. Vor allem anderen sind wir aber auf der Gamescom die Normalen der Welt. Die Begeisterung für Spiele aller Art, ob Konsole oder PC, verbindet uns, unabhängig ob Entwickler, Spieler, männlich, weiblich oder unschlüssig über die letzteren beiden Punkte. Wir sind kein Zoo für halbherzige Studien zum Feminismus mit dem Ziel, den Männerhass künstlich zu schüren.
Liebe EMMA, solltet ihr nächstes Jahr erneut jemanden auf die Gamescom schicken, sucht zumindest jemanden aus, der im 21. Jahrhundert und im Informationszeitalter angekommen ist und nicht beim BH verbrennen 1968 stehen blieb. Das würde heutzutage niemand mehr tun, die Dinger sind teuer und viel zu hübsch.
Zum Eingangsbild: In der fiktiven Zukunft von Mass Effect sind gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Norm. Die Rasse der Asari hat z.B. gar keinen männlichen Individuen mehr vorzuweisen und besteht nur noch aus Frauen. Bildquelle: Screenshot aus Mass Effect 3
Anmerkung der Redaktion: Der ursprüngliche Artikel der EMMA wurde nun bereits mehrfach überarbeitet. Er ist jetzt doppelt so lang und musste wohl ordentlich nachrecherchiert werden. Wir hoffen dazu beigetragen zu haben, dass das ursprünglich vermittelte Bild von der Autorin erweitert und genauer betrachtet werden musste. (19.08.2015)
Danke für diese ausführliche “Antwort” zu dem Emma-Artikel (der in seiner ersten Version so viele Fehler hatte, dass ich den eh nicht richtig ernst nehmen konnte. Star Wars Battlefield, Prinzessin Lea…)
Fand ihn trotzdem ganz grob doch recht positiv, es wurden ein paar Sachen gefunden, die die Autorin nicht direkt doof fand. Für eine Zeitung für die Emma war das vermutlich ein riesiger Schritt, einzugestehen, dass doch nicht alle Gamer sexistische Schweine sind. Oder so. Dennoch merkt man, dass die Autorin da mit einer gewissen Vorstellung reingegangen ist und eigentlich nur versucht hat, diese zu belegen. Wenn man dann nur 2-3 Hallen besucht, an einem Tag, dann ist klar, dass das keine objektive Berichterstattung sein kann. Aufreizende Boothbabes müssen mMn nicht sein, gibt es aber auf so gut wie jeder Messe und gerade auf der gamescom sieht man a) auch viele Männer, in Verkleidung oder teilweise oben ohne und b) verzichten auf gefühlt immer mehr Stände auf eben diese Boothbabes. Nur in den spielefremden Hardware- und Softwareständen scheinen sie sich noch zu halten. Als positives Beispiele nenne ich auch immer gerne Nintendo, wo komplett bekleidete Männer und Frauen rumlaufen. Gefühlt sah es dieses Jahr aber fast überall so aus, was ich eine gute Entwicklung finde. Klar, wie du richtig sagst, die Damen machen das freiwillig und es ist nicht grundsätzlich schlecht, halbnackt rumzulaufen. Wenn man dann aber bedenkt, welches Alter und Geschlecht ein Großteil der Besucher hat… muss irgendwie nicht sein, finde ich.
Jetzt fehlt mir irgendwie ein Fazit… äh, guter Artikel, danke dafür 🙂
Hallo David, erstmal danke für das Kommentar 🙂
was mir vor allem auffiel war, dass bei vielen Ständen die Boothbabes auch durch Cosplayer ersetzt wurden, was mMn eine gute Entwicklung ist und durchaus weitergeführt werden sollte. Vor allem, da es nicht auf weibliche Cosplayer beschränkt ist, z.B. das 5er Team bei Blizzard, die Assassins für Ubisoft oder Leon Chiro Cosplay für Cool2U in der Merchhalle. Allgemein hat man dieser Gamescom eigentlich stark angemerkt, dass Entwicklung da und erwünscht ist. Perfekt wird es wohl nie sein, aber zumindest gehen wir in die richtige Richtung 😀