Die EU hat die Netzneutralität abgeschafft. Alex Sander von der Digitalen Gesellschaft erklärt im Interview wie es dazu kam und welche Folgen dieses Gesetz hat. Für Lesefaule kann das Interview hier nachgehört werden.
Das Beitragsbild zeigt Alexander Sander, Geschäftsführer beim Digitale Gesellschaft e.V., der sich für Grundrechte und Verbraucherschutz im Netz einsetzt. Zuvor war Sander drei Jahre in Brüssel Mitarbeiter eines Mitglieds des Europäischen Parlaments. Er ist Gründer von NoPNR!, einer Kampagne gegen die Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten, und Observer bei EDRi.
Lansyn: Letzte Woche wurde im Europaparlament das Gesetz zur Netzneutralität verabschiedet. Es wissen aber noch nicht alle, was Netzneutralität eigentlich genau ist. Kannst du diesen Begriff kurz umreißen?
Alex Sander: Netzneutralität bedeutet, dass alle Daten – unabhängig vom Absender, Empfänger oder Inhalt – gleich behandelt werden. Es wird also kein Unterschied gemacht, ob ich skype, eine Mail verschicke oder ein Video auf Youtube anschaue. Alle Daten werden gleich behandelt und dieses Prinzip nennt man Netzneutralität.
Lansyn: Von dem verabschiedeten Gesetz hieß es im voraus, dass es für die Netzneutralität sei. Was steht denn genau in diesem Gesetz?
Alex Sander: Das EU-Parlament hat darüber abgestimmt, welche Regulierung man in Europa für die Netzneutralität findet. Im Gesetzestext hat man sich aber auf sehr schwammige Formulierungen geeinigt. Es werden beispielsweise sogenannte Spezialdienste zugelassen. Das bedeutet, dass die Provider Streamingdienste oder Online-Gaming als Spezialdienst anbieten können und die Verbraucher dann extra bezahlen müssen, um diesen Dienst ruckelfrei nutzen zu können. Das Gleiche gilt aber auch für die Anbieter dieser Dienste. Youtube muss bei den Provider eine Überholspur kaufen, um seine Dienste den Verbrauchern ruckelfrei anbieten zu können. Die Provider verdienen also zu ihren jetzigen Einnahmen nochmal doppelt dazu.
Das führt dazu, dass sich Verbraucher in einem Tarifdschungel wiederfinden werden, denn sie müssen sich Zusatzpakete wie ein Streaming- oder Gamingpaket hinzu bestellen. Andererseits wird auch Innovation gebührenpflichtig. Denn gerade Startups, die in der Vergangenheit immer dafür standen neue oder bessere Dienste auf den Markt zu bringen, werden jetzt vom Markt gedrängt. Auch Startups müssen sich Zusatzpakete kaufen obwohl sie ja generell mit wenig Geld auskommen müssen.
Lansyn: Kann man sagen, dass dieses Gesetz zu einer weiteren Monopolisierung im Telekommunikationsmarkt führt?
Alex Sander: Das ist das eine: Es ist eigentlich ein Gesetz zur Quersubventionierung der Provider. Es führt zum anderen dazu, dass das Internet auf dem Stand bleiben wird, auf dem es jetzt ist, weil kaum mehr Innovation möglich ist. Interessant ist, dass es in den USA auch eine heftige Debatte um die Netzneutralität gab. Während der Debatte hat man aber gemerkt, dass ohne die Netzneutralität das Silicon Valley kaputt gehen würde. Deshalb hat man sich schlussendlich für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität entschieden.
In Europa wird seit Jahren davon gefaselt, einen Start-Up-Markt zu etablieren, mit solchen Entscheidungen wird er aber im Keim erstickt. Hier geht es nur darum, die wenigen Provider, die bereits auf dem Markt sind, weiter zu subventionieren.
Lansyn: Um auf die Spezialdienste zurückzukommen: Wenn ich mir jetzt ein Video auf Youtube ansehen will, ruckelt es nicht. Wie argumentieren denn die Anbieter, warum Youtube ab sofort ein Spezialdienst sein soll?
Alex Sander: Ab sofort stimmt hier nicht. Was die Telekom angekündigt hat, ist dass sie Start-Ups zur Kasse bitten will. Die Provider scheinen also zuerst einmal von Unternehmen zu verlangen, dass sie Überholspuren kaufen. Das andere ist aber, dass sich das Best-Effort-Internet, also die ruckelfreie Verbindung zu Youtube, wie wir sie heute kennen, in den kommenden Jahren deutlich verschlechtern wird. Die Provier kommen beim Breitbandausbau nicht hinterher und gleichzeitig steigt der Bedarf nach Diensten mit hohem Datendurchsatz. Das Best-Effort-Internet wird in den kommenden Jahren immer langsamer werden und hier werden die Provider ansetzen. Sie werden die datenintensiven Dienste zu Spezialdiensten machen, weil diese Dienste ansonsten nicht mehr ruckelfrei genutzt werden können. Der Verbraucher wird quasi dazu genötigt, diese Dienste zu kaufen – es sei denn, die Verordnung wird bis dahin reformiert und man einigt sich auf eine Verankerung der Netzneutralität in Europa.
Lansyn: Michael Reimann von den Grünen wird auf heise.de zitiert, dass die vage Netzneutralitätsklausel auch eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Ist das wirklich eine Gefahr für die Demokratie oder nur etwas unangenehm, weil man mehr zahlen muss?
Alex Sander: Das ist tatsächlich ein Angriff auf die Demokratie und auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, denn viele Debatten finden heute in sozialen Netzwerken wie Youtube statt. Wenn da Leute ausgeschlossen werden, weil sie sich keine Spezialdienste leisten können, können sie auf dieser Plattform auch nicht mehr am Meinungsbildungsprozess teilnehmen. Dadurch entstehen auch Probleme für die Demokratie.
Lansyn: Ist von der Digitalen Gesellschaft denn Protest geplant?
Alex Sander: Gerade nachdem eine Verordnung verabschiedet wurde, ist nicht davon auszugehen, dass direkt am Tag danach mit einer Reform begonnen wird. Gleichwohl hat Günther Öttinger, der zuständige EU-Kommissar, bereits angekündigt, dass er bereit ist nochmals über die Verordnung nachzudenken, wenn die Bedenken der Zivilgesellschaft zutreffen sollten. Das ist jetzt schon der Fall, weil die Telekom zwei Tage nach der Abstimmung bereits angekündigt hat Start-Ups zur Kasse zu bitten. Damit sind unsere Bedenken tatsächlich wahr geworden. Wir fordern jetzt von Günther Öttinger, dass er die entsprechenden Reformen einleiten wird. Ob er das tatsächlich tun wird, ist aber anzuzweifeln. In der Vergangenheit hat sich Günther Öttinger schon als Vertreter der Lobbyisten präsentiert, er hat uns in der Debatte sogar vorgeworfen, dass wir unsere Argumente “talibanartig” vortragen würden. Er ist also kein großer Freund von NGOs und Bürgerrechtsgruppen.
Momentan ist es aber noch zu früh, die Bürgerbeteiligung zu intensivieren, wir müssen erst abwarten wie die Provider reagieren und wie die Regulierungsbehörden vorgehen. Wenn es dann soweit ist werden wir auf unseren Blogs zu Protest aufrufen.
Lansyn: Im Gesetzesentwurf ging es ja nicht nur um die Netzneutralität, es wurde auch beschlossen die Roaming-Gebühren zu senken. Ist das denn wenigstens gut oder ist hier auch etwas versteckt?
Alex Sander: Grundsätzlich ist das natürlich schön, wenn Roaminggebühren gesenkt werden. Der Plan der EU-Kommission war ohnehin, das bis 2018 zu machen. Jetzt hat man das um ein Jahr verkürzt. Bis 2017 sollen die Roaminggebühren fallen aber dafür hat man gleichzeitig die Netzneutralität geopfert. Ob man damit der Zivilgesellschaft einen Gefallen getan hat, wagen wir ernsthaft zu bezweifeln. Die wenigsten werden die Vorteile niedrigerer Roaminggebühren so ausnutzen können, dass sie damit die Nachteile der weggefallenen Netzneutralität kompensieren können. Hier haben vor allem Menschen die viel reisen einen Vorteil, aber hierfür die Netzneutralität zu opfern ist nicht verhältnismäßig.
Das Interview wurde geführt von Marco Lehner