Das Entwicklerstudio Reikon Games, das unter Anderem aus ehemaligen Mitarbeitern von CD Projekt RED besteht, hat am 26.09.2017 sein erstes Gesellenstück veröffentlicht: RUINER. Der Cyberpunk-ISO-Shooter machte im Trailer Hunger auf mehr. Kann der Titel halten, was er verspricht?
Achtung! Die Review beinhaltet Spoiler.
Im Trailer wurde mit einem sehr tristen Musikstück, düsterer Stimmung und einigen Highlights des Kampfsystems geworben. Von der Story war wenig bis gar nichts zu erkennen. Trotzdem hat die Gefühlslage in dem kurzen Clip Lust auf mehr gemacht, also habe ich kurzerhand die Geldbörse geschüttelt und das knapp 20 € teure (oder günstige?) Spiel im PSN Store erworben.
Probleme der Konsolenversion
Und da fing bereits das erste große Problem an seinen Lauf zu nehmen. Die Konsolenversion von RUINER steht der PC-Variante grafisch in nichts nach und transportiert die erwartete Stimmung stilsicher. Allerdings basiert RUINER auf einem Hack & Slay Mashup mit Shooterelementen aus der allgegenwärtigen ISO-Perspektive. Kurzum bedeutet das Blickrichtung-orientiertes Zielen.
Auf dem Computer bekommt der Spieler ein rundes “Fadenkreuz” spendiert, das den Mauszeiger ersetzt. Abgesehen von der ohnehin “natürlicheren” Führung mit der Maus fehlt dem PS4-Zocker also auch eine optische Vorgabe. Dementsprechend weit gestreut verteilten sich die Projektile auf dem Bildschirm. Die erste logische Lösung? Ständiger Nahkampf-Modus. Die standardisiert ausgerüstete Eisenstange tat ihren Job zunächst gut, wurde mit zunehmender Gegneranzahl aber ein Sicherheitsrisiko. Wer in Gegner reinrennt, bekommt auch mehr Schaden.
RUINER zwingt zu Undenkbarem
Natürlich begann ich das Spiel ehrgeizig auf “Normal”, es sollte ja eine Herausforderung werden. So schwer sah das ganze Treiben im Trailer schließlich nicht aus. Weit gefehlt. Die Konsolensteuerung macht es stellenweise unmöglich bestimmte Bereiche abzuschließen. Die Nahkampfwaffe bringt leider nicht den nötigen Impact mit sich, um gegen “Tanks”, die mehr als einen Schlag aushalten effektiv vorzugehen.
Also: Stolz vergessen, eine Schwierigkeitsstufe niedriger weitermachen. Ab dem Moment wurde vieles spürbar leichter, weil auch krassere Gegner nur einen Hit vertrugen. Bosskämpfe und einzelne Abschnitte blieben aber dennoch so herausfordernd, dass man verzweifeln konnte. Gegen Ende des Spiels kam mir die Taktik immer diagonal zu dashen, und in die exakte Gegenrichtung zu zielen. Da viele Endgegner eigentlich nur mit Kugeln gefüttert werden wollten bis ihnen der Metallgehalt im Körper zu hoch wurde, war auch der vorletzte ihrer Art mit dieser Vorgehensweise relativ leicht zu überwinden.
Die Features
RUINER bietet neben einem von Anfang an verfügbaren Dash, der sehr dem von Tracer aus Overwatch ähnelt, einen Skillbaum, der im Zuge der Story gar nicht vollständig freizuschalten ist. Demnach sollten die Prioritäten früh gesetzt werden. Zusatz-Gesundheit, mehr Energie und ein verbesserter Schild machten angesichts der Steuerungslage am meisten Sinn. Zum Leveln muss Karma gesammelt werden, das die klassischen EXP eigentlich nur namentlich ersetzt. Thematisch ist der Name aber Programm – töte böse Jungs und dir wird gutes wiederfahren.
Der Dash kann mittels strategischer Punktsetzung in Reihe gecasted werden, doch auch hier wirkt die Konsolensteuerung unhandlich. Doch genug von der Controllerproblematik. Die breite Palette an Waffen bietet genug Abwechslung, um einem Spiel von 4-6 Stunden Laufzeit mehr Tiefe zu geben. Von simplen Pistolen, über Impulskanonen, bis hin zum gepimpten Flammenwerfer ist alles dabei. Auch die Nahkampfwaffe erfährt hin und wieder ein Upgrade und wird nach einem Zwischenboss sogar dauerhaft zu einem passablen Schwert.
Dauerhaft? Das ist erwähnenswert, weil alle im Spiel gefundenen Waffen sich nach einer Zeit auflösen. Die Schlagwerkzeuge geben nach wenigen Trefferpunkten den Geist auf, die Schusswaffen, sobald das beigelegte Magazin leergeballert wurde. An sich eine gute Idee, da der Spieler so fast gezwungen ist mehr Varianten zu testen. Einziger Wermutstropfen: Die Munition gleicher Typen lässt sich nicht stacken. Bei der neuerlichen Auswahl wird der bereits getragene Gegenstand einfach fallen gelassen.
Setting und Grafik
Das Setting gilt dem Cyberpunk. Eine düstere Dystopie gegen Ende des 21. Jahrhunderts, durchsetzt von Straßengangs und Menschen mit Cyborg-Elementen. Stimmig und schön anzuschauen allemal. Licht scheint eigentlich nie von oben herab. Stets befindet sich der Charakter in dunklen oder künstlich beleuchteten Gebieten innerhalb von Fabriken, Bunkern oder den Straßen von Rengkok South – der Stadt, von der alles ausgeht. Hier können kleinere Nebenaufträge zum Sammeln von Karma angenommen, oder kurze Gespräche mit Bewohnern geführt werden.
Leider fehlt RUINER abseits der Zwischenrufe von unseren “Gebietern” oder manchem Gegner jegliche Sprachausgabe. So muss jede Textpassage ganz altmodisch selbst gelesen werden. Vereinzelt fehlte die deutsche Übersetzung, was aber aufgrund des nicht hochgestochenen Englischs kein Problem darstellen dürfte. Grafisch stößt das Game nicht gerade an die Grenzen der PS4, obwohl es auch dank der Unreal Engine 4 durchweg ohne Framedrops oder fehlende Texturen auskommt.
Zwar wirken viele Gebiete sehr repetitiv und bieten nicht allzu viel zum Entdecken, doch es macht trotzdem Spaß jeden Gang vorsichtig zu durchstreifen, schließlich könnte ja noch etwas Karma rumliegen. Nur wenige Sequenzen bieten vollständig gerenderte Bilder, doch die detailliert dargestellten Gegner sehen auf Augenhöhe großartig aus.
Die Story (Spoiler!)
.
.
.
Der Spieler startet in RUINER als Mann mit LED-Helm in einer metallenen Umgebung, ohne jegliches Vorwissen. Mit den Worten “KILL BOSS” sagt unser “Gebieter” was denn zu tun sei, die Details schiebt er in Textform nach. Gut, also rein ins Getümmel. In diesem Abschnitt werden die einzelnen Skills Arena für Arena erklärt und müssen zwingend einmal durchgeführt werden. Ein Tutorial mit Story-Anteil? Klasse Idee! Nur, was ist denn nun die Story?
Ist dieser Teil geschafft erreicht uns eine neue Stimme. “Sie” (ja, das ist ihr “Name”) hat uns von unserem Gebieter befreit und erzählt uns etwas von einem entführten Bruder, den wir retten müssen, weil “Die” ihn haben und “Die” Böses im Schilde führen. Okay. Nachdem uns der hiesige Mechaniker zusammengeflickt hat, geht es wieder rein in den Blutpool. Die neue Chefin meldet sich ähnlich ihrem Vorgänger mit kurzen Zurufen und passendem Text.
Wuff
Unser Rufname ist fortan “Puppy” und eben wie einen Welpen lotst “Sie” uns durch die Level. Worum ging es nochmal? Achja! Bruder retten. Der Skill-Baum wird länger, die Waffen weitreichender und die Gegner nachtragender. Übergehen wir den langen Teil mit der Geschichte um die gefühlt tausenden Widersacher, geplatzten Köpfe und etlichen Resets aufgrund dummer Tode. Im finalen Kapitel angekommen schaffen wir es unseren Bruder zu retten, der in ein grelles Licht läuft und ins per Überblende in die Situation versetzt unserem Ebenbild – dem Helm nach – gegenüberzustehen. Gefesselt. Umringt von Wachen.
Wer das nun ist? Naja, das ist “BOSS”. Der augenscheinlich wahre Böse hinter allem. Unserer Herrin platzt derweil das Cyborg Gesicht auf, ehe sie uns mit einem Timer in den finalen Kampf schickt. Ohne gegen unser Ebenbild wirklich gekämpft zu haben stehen wir in einer letzten Sequenz siegreich über dem Blutbad. Wir fassen seinen Helm an, lassen damit “Sie” in seinen Kopf eindringen – und ihn dadurch sterben(?). Nun denn. Es ist geschafft. Und einen Bruder haben wir wohl auch nicht.
Das ging jetzt zu schnell? Das Gefühl kenne ich. Aber auch wenn jede Textzeile hier jetzt durchexerziert würde, der Verständlichkeit würde kein Gefallen getan werden.
Fazit
RUINER zeigt in den für einen 20€-Titel ordentlichen 4-6 Stunden viel Potenzial, aber auch zahlreiche Stellschrauben auf, an denen noch gedreht werden müsste. Der Konsolenport wird dem Spiel auf alle Fälle nicht gerecht, da die Steuerung zu sehr darunter leidet. Egoshooter mit dem Joystick sind schon so eine Sache. Fällt der Auto-Aim und das “Ego” weg, wird es kribblig. Darum werde ich die PC-Version bei Gelegenheit noch nachholen.
Das Gameplay und das Setting an sich machen dennoch eine Menge Spaß und lassen dem Spieler im Rahmen der Möglichkeiten genug Freiraum seinen Weg zu wählen – sofern er alles weggrätscht, was ihm in den Weg kommt. Die Grafik passt hervorragend zur gewollten Atmosphäre und rundet zusammen mit dem Soundtrack das Gesamtbild ab. Dass das Entwicklerteam vor allem auch aus ehemaligen Witcher und Cyberpunk 2077 Entwicklern besteht ist deutlich spürbar.
Eine klein gehaltene Liebe zum Detail, gute Gags und ein verwirrender, aber dennoch irgendwie fesselnder Storyverlauf fügen sich nahtlos in die Universen von CD Projekt Red ein. Devolver Digital hat mit dem ersten Spiel von Reikon Games einen guten Schritt gemacht. Dieses Entwicklerstudio könnte mit größeren Projekten noch viel von sich hören machen.
Zunächst wünsche ich mir einen zweiten Teil, der die Probleme des ersten löst und PC-Exklusiv bleibt. Das Spiel macht auf der Konsole viel Freude, verschenkt dort aber zuviel Potenzial. Habe ich schon den großartigen Soundtrack erwähnt?