Ich betätigte den Abzug und erschoss Bush. Es hat zwei oder drei Stunden gedauert bis ich mich mit meiner AK-47 durch die Horden von amerikanischen Soldaten gekämpft habe, die Kilometer von monochromem Wüstensand, vorbei an den immer gleich anmutenden grauen Gebäuden, durchquert habe und Präsident George W. Bush zu einem Duell zwingen konnte. Nun war es geschafft. Meine Mission war erfüllt; der US-Präsident exekutiert. Game Over. Press any button to continue…
Immersion und Interaktion sind die Hauptfaktoren, welche Videospiele von allen anderen Medien und Kunstformen unterscheiden. Wenn beispielsweise Filme versucht haben, die “vierte Wand” zu durchbrechen und den Zuschauer als aktiven Teilnehmer anzuerkennen, hat der Effekt selten funktioniert. Experimente wie Filme aus der Egoperspektive zu erzählen, wie etwa Lady in the
Lake, scheitern meist. Videospiele hingegen benötigen den Nutzer als aktiven Partizipanten. Sie oder er ist der Geist, der das digitale Avatar durch den fiktiven Raum steuert.
Dieses Phänomen ebnet den Weg für neue Arten der Narrative, der Wahrnehmung von Fiktion und der Identifikation mit einem Protagonisten. Jedoch birgt es auch kontroverses Potential. Das US-Militär hat Videospiele schnell als mögliches Trainings-, Rekrutierungs- und strategisches Kommunikations- bzw. Werbemittel erkannt. Hier spielt ganz ohne Frage auch der Spaßfaktor des
Gameplays eine Rolle.
Bedenklicher noch ist, dass sich auch einige terroristische und extremistische Organisationen das Medium des Videospiels zu Nutzen gemacht haben. Auf der digitalen Ebene spiegelt in diesem
Sinne der “Krieg gegen den Terror” den “Kalten Krieg” wieder. Auf die Aktion der einen Kriegspartei folgt die Reaktion der anderen: Die US-Armee veröffentlicht America´s Army oder
Full Spectrum Warrior und die Hezbollah antwortet mit Special Forces oder die Global Islamic Media Front mit Night of the Bush Capturing (Letzteres ist das berüchtigte Spiel, das in den ersten
Sätzen dieses Artikels zusammengefasst wurde in einem Versuch, Immersion schriftlich auf der Metaebene zu verdeutlichen).
Eine Weapons Gap können Insurgenten in einem asymmetrischen Krieg gegen den “Westen” niemals aufholen. Eine Videogame Gap in einem digitalen Wettrüsten um die Herzen und Köpfe
von Menschen schon eher. Natürlich können Terroristen nicht auf das enorme Budget oder das technologische Know-How eines staatlichen Militärs zurückgreifen. Allerdings können die
terroristischen Programmierer bereits bestehende Quellcodes von kommerziellen Videospielen stehlen und umprogrammieren. Dieses Konzept des reverse engineering ist in der analogen Version
ebenfalls wohlbekannt aus dem Kalten Krieg, als sowjetische Ingenieure ihre Technik und Kampfmittel oft auf westlichen Blaupausen basiert haben.
Spiele mit extremistischen Inhalten existieren in einer Vielzahl. Allerdings sind die Titel auf dem europäischen Markt aus guten Gründen nicht einfach erhältlich. Im Internet jedoch findet der
geneigte Terroristenanwärter schnell etwas zum Daddeln. Islamistischer Fundamentalismus und Neo-Nazi-Gedankengut sind die beiden größten ideologischen Stränge, auf welchen die besagten
Spiele beruhen. Seltsamerweise sind es zwei selbst-proklamiert “ultrakonservative”, historisch rückwärts gerichtete Ideologien, welche die meisten politisch motivierten Spiele (wie auch die
meiste andere progressive High-Tech-Propaganda) produzieren. Die ersten Gehversuche etablierter politischer Organe in diesem Bereich der strategischen Kommunikation – wie etwa Wahlwerbung für Obama im Rennspiel Burnout Paradise – bleiben vergleichsweise selten und zaghaft. Abgesehen natürlich von High-Budget-Produktionen des Militärs, wie das berühmte America´s Army.
Der Massenmörder Anders Breivik ist ein konkretes Fallbeispiel für die Symbiose von Terrorismus und Videospiel. Ein ganzes Jahr verbrachte er hauptsächlich damit, das Onlinespiel World of
Warcraft zu zocken und brach den Kontakt zu Freunden und Bekannten ab. Laut ihm tat er dies bewusst um sich von einer verkommenden Gesellschaft loszulösen. Ein anderer Blickwinkel wäre,
dass er ein Außenseiter war, der keine Freunde mehr hatte, jenseits von digitalen Avataren. Neben den täglich bis zu 16 Stunden, die er in der Fantasy-Welt von WoW verlebte, “trainierte” er auch mit dem Ego-Shooter Call of Duty: Modern Warfare. Dann kam der Tag, an dem er “Thors Hammer” und “Odins Speer”, wie er seine Handfeuerwaffen benannte, sowie einige Kilo Sprengstoff Marke Eigenbau nahm und einen der größten Terroranschläge ausübte, die Europa je erlitten hat.
Breivik war ein passionierter Videospieler und ein extremistischer Terrorist. In einer Zeit, in der angeblich 46 Prozent der Deutschen ab und zu und 13,5 Millionen Deutsche täglich Videospiele
spielen, kommt diese Mischung häufiger vor als es vielen bewusst sein mag. Zumindest gehen davon diverse extremistische und terroristische Organisationen (beispielsweise die Global Islamic
Media Front oder die White-Power Gruppierung National Alliance) aus, welche Computerspiele als Propaganda- und/oder Rekrutierungstools produzieren und verbreiten. Für Breivik waren
Computerspiele eine Form des Eskapismus, einer Flucht aus der Wirklichkeit. Genauso sind extremistische Ideologien alternative Narrativen, welche eine Flucht von der anerkannten Realität
und der gängigen sozialen Narrative bieten. Diese Gemeinsamkeit ist einer der Beweggründe hinter der Programmierung von Spielen mit extremistischen Inhalten.
Unter diesen extremistischen Spieltiteln findet man oft Begriffe wie “KZ”, “Ethnic Cleansing” oder andere provokative, tabuisierte Begriffe. Von Rassenkrieg bis Intifada reicht der Gameplay-
Hintergrund. Statt auf generische Terroristen schießt der Spieler hier, wie eingangs dargelegt, auf amerikanische oder israelische Soldaten, bzw. auf ethnische Minderheiten, während er oder sie
selbst in die Rolle jenes generischen Terroristen, Islamisten, Nazi, KuKluxKlan-Ritter oder Redneck schlüpft. Eben jene Rollen, welche als Schießbudenfiguren in handelsüblichen Ego-
Shootern angetroffen werden.
Beunruhigend ist in diesem Kontext, dass es besonders militanten Islamisten oft gelungen ist, einfach die Spieler- und Gegner-Avatare und Icons von Mainstreamshootern umzutauschen und so
mit nur wenig Aufwand “normale” Spiele in eine Art perverses Terroristen-Medium umzubauen. Extremisten hoffen durch Spiele ein bestimmtes Publikum zu erreichen und von ihrer Sache zu
überzeugen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist eine Frage, die kaum zu beantworten ist. Es mangelt schlicht an verlässlichen Daten über die Rezeption dieser Spiele. Wer sie spielt und aus welchen
Gründen lässt sich nicht verfolgen.
Klar ist: Spiele alleine vermögen es nicht, Menschen wie durch Voodoo-Zauber in Terroristen und Extremisten zu verwandeln. Wenn allerdings eine gewisse Grundsympathie für die extremistische Weltanschauung besteht, ist durchaus anzunehmen, dass solche Spiele als Katalysator fungieren könnten. Dies ist eine ähnliche Dynamik wie bei der alten Debatte über gewaltverherrlichende Videospiele. Ein Spiel kann nicht im Alleingang einen geistig gesunden Menschen in einen Amokläufer umwandeln, egal wie viele rote Pixel über den Bildschirm flimmern. Jedoch konnten Spiele wie Doom unabsichtlich Menschen wie Eric Harris und Dylan Klebold zum Morden ermutigen.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Tim Kucharzewski
Er schloß vor kurzem seinen Master in Military Studies. Militärgeschichte/Militärsoziologie an der Universität Potsdam ab