Pen and Paper

Ten Candles – Auch die Hoffnung stirbt am Ende

Comments (1)
  1. Dennis Topel sagt:

    Hallöle!

    Gestern Abend habe ich 10 Candles als Spieler erlebt und da es ziemlich intensiv war, wollte ich mal irgendwie meine Meinung kundtun.

    Vorneweg:
    Ich bin recht erfahrener Pen&Paper-Spieler (sowohl als SL oder als Spieler) und spiele sonst gerne Shadowrun oder auch mal Cthulhu und habe früher viel DSA ode anderes Fantasyzeug gespielt. Dabei stehe ich auf ausschweifende Charaktererschaffung, viele Skills und dazu eine intensive Vorbereitung durch coole Backstorys der Charaktere. Dafür hat man aber nicht immer Zeit und zudem bin ich ein Spieler, der (trotz Hang zur Skill-Performance) zumeist ein sehr hohes (emotionales) Maß an Immersion spiert. Also gibt man sich mal „die völle Dröhnung“ 10 Candles…… Waaah!

    Rahmenbedingungen:
    Ein guter, erfahrener Spielleiter und vier weitere erfahrene Spieler (rein konventioneller RPGs), die in ihrem Leben schon oft SL gemacht haben – wobei nur ein Spieler 1x eine Runde 10C gespielt hatte. Selbst für den SL war es die Premiere.

    Das Positive:
    Ja, es war wirklich die volle (emotionale) Dröhnung.
    Es ist echt krass, wie viel Atmossphäre, bei so wenig Vorbereitung aufkommt. Zugegebenermaßen lag dies sicher auch ein wenig an der geilen Sounduntermalung des SL und am düsteren „Cthulhu-Keller“ meines Kumpels, aber wir hatten nich einmal echte Kerzen (sondern nur LED-Fake-Teelichter), weil wir kein Feuer machen konnten – und doch war es sehr intensiv.
    Die Charaktererschaffung ist erfrischend anders – erfrischend kurz – wenn man mal echt keine Zeit hat. Und sie legt natürlich einen deutlichen Fokus aufs Erzählerische/Rollenspielerische.
    Da ich wie gesagt immer ein hohes Maß an Immersion spüre, war ich vorher schon sehr angespannt und gefesselt durch das Konzept, bevor es überhaupt losging.
    Wir haben dann über 4 Stunden gespielt und das Spielgeschehen war durchweg „packend“ von Minute eins bis zum Schluss. Sprich: Es gab keine Längen, kein Geplänkel, nur minimalste Regeldiskussionen /-fragen und off-game Gespräche/Kommentare waren fast gleich Null – von einer „erzählerischen Actionszene in die nächste – Schlag auf Schlag BÄM!“ und jeder einzelne Würfelwurf hatte großes (erzählerisches) Gewicht!
    Die volle emotionale Dröhnung: Tragik-Horror eben.
    Wenn 10 Candles sich wirklich anfühlt wie ein guter Tragik-Horrorfilm, dann sind andere RPGs eher wie Tom und Jerry. Das meine ich natürlich positiv, aber nicht nur…

    Das Negative:
    Zumindest ich (und streckenweise auch 1-2 andere Spieler) hatten ein Problem.
    Das Spiel verlangt, dass ich mit meiner Figur „Hoffnung“ spielen soll, obwohl ich als Spieler genau weiß, dass es keine Hoffnung geben wird. Ich finde es im RPG immer schade, wenn es zu viele Momente a la „Trenn mal bitte Spielerwissen von Charakterwissen“ gibt. Das raubt mir die Spannung. Das Spiel ist leider ein einziger solcher Moment. : – (
    Es war alles so düster (und dazu so packend)… ich persönlich hatte schon bereits spätestens in der 3.Szene jede (gespielte) Hoffnung verloren. Das Problem war, dass damit auch die Spannung für mich abgefallen ist und auch meine Motivation und mein „Überlebenswille“ schnell arg gegen null tendierten. Vielleicht auch, weil mir relativ schnell klar wurde, dass ich es sehr wahrscheinlich noch nicht einmal schaffen würde, meinen „Moment der Hoffnung“ zu erreichen. (Im Spiel hatte ich ein kleines Kind, mit dem ich vor meinem Tod noch einmal telefonieren wollte…)
    Die anderen hingegen konnten deutlich länger als ich noch mehr „spielerisches Feuer“ entwickeln, um die Handlung zu puhsen. Ich hatte schon bei Szene 3 das Bedürfnis mich zu erschießen…
    Demnach habe ich mich dann fortan durch dieses sehr intensive Spiel „hindurchgelitten“.
    Ich habe eine anhaltende Hoffnungslosigkeit und eine krasse Verzweiflung gespürt, die als Immersion seinesgleichen sucht. Doch am nächsten Tag heute frage ich mich, brauche ich das?
    Ich habe mich nach dem Spiel (angestrengt/ausgelaugt) gefühlt wie nach einem halbstündigen Heulkrampf…
    Sprich: Die Immersion war so intensiv, aber sie war für mich zu jeder Zeit zu 99% nur negativ-intensiv.
    Nicht falsch verstehen – ich war nicht gelangweilt. Ich wollte einfach nur, dass dieser Horror bald endet, aber ich konnte mich nicht (zu läbsch) erschießen, da mein Char ein Kind hatte.

    Leider muss man auch sagen, dass (zumindest bei uns) dass das Erzählerische und die Atmo extrem packend waren, aber die Spielmechanik offenbarte trotz ihrer Einfachheit ihre Schwächen:
    – Große Teile unserer (ohnehin überschaubaren) Charakterkärtchen blieben unangetastet.
    – Man neigt erzählerisch recht rasch dazu kaum noch etwas zu wagen, weil dann durch die Würfel die Szene enden konnte (man vermeidet bewusst zu würfeln…)
    – Für mich (teilweise auch für die anderen) war das „Aussprechen von Wahrheiten“ zur Defintion von Szenen (unter Zeitdruck) ein bedrückendes/stressendes Gefühl…
    Ich war immer geneigt so simple Dinge zu sagen wie:
    „Die Wahrheit ist, die Sonne strahlt wieder…“
    „Die Wahrheit ist, SIE veschwinden für alle Ewigkeit“
    „Die Wahheit ist, die Avengers kommen und bekämpfen SIE…“ -.-

    Aber das fühlte sich dann natürlich an wie „Cheaten“, also habe ich zumeist eher Dinge gesagt, die uns noch mehr in die Scheisse geritten haben. An dieser Stelle empfand ich die Vermischung von klassischer Spieler- und Spielleiterrolle sehr unangenehm. Ansonsten bin ich sehr gerne Spieler und auch sehr gerne SL, aber so zwischen den Stühlen zu hängen und zugleich eine spannende/dramatische Szene zu kreieren und sich gleichzeitig daraus zu befreien zu versuchen, war für mich innerlich widersprüchlich in meiner Kreativität.

    Ein weiterer Punkt: Ich hatte keine Angst. Bei der vollen Dröhnung Verzweiflung kam NULL Angst auf. Und diese sollte auch mMn immer Teil der Immersion sein. Angst um den „liebgewonnenen Char“… Ansporn sich aus der Scheisse zu befreien und (hoffentlich) gestärkt daraus hervorgehen…

    Das gibt es hier nicht, da man sowieso weiß, dass man draufgeht.
    Zusätzlich zu der sehr spärlichen Charaktererschaffung baut man so ziemlich wenig Bindung zu seiner Figur auf. Demnach habe ich zumindest auch NULL Angst empfunden, wo ich sonst bei vielen RPG-Kämpfen um meinen Char zittere, war es hier ein: „Es ist doch eh alles im Arsch! Ich will einfach nur hier raus! Geht nicht! Ok, also Freitod!“

    Leider haben die Opfer, die man bringen kann, indem man sich umbringt, auch nicht so cool funktioniert… Es kommt nicht diese emotionale Dramatik auf, wenn ich mich für die anderen ins Feuer werfe, um sie zu retten, wenn ich genau weiß, dass sie 2.Szenen später sowieso alle tot sind.
    Vielleicht lag es da an uns… wir hatten zwar am Ende alle mehr oder minder spektakuläre Tode… ( selbst verbrannt im Flugzeug, ballernd oder mit zig Granaten im Schlund eines riesigen Wurms…) aber als wirklich ergreifend oder sinngebend habe ich sie nicht empfunden.

    Irgendwie hat niemand den Moment seiner Hoffnung wirklich erreicht und auch wenn klar war, dass kein SC sich retten kann, haben wir auch für die fiktive Spielwelt, die wir hinterlasssen haben, nichts positives bewirken können. : – (

    Fazit:
    Ist der Tod im echten Leben nicht schlimm, tragisch und traurig genug?
    Muss ich ihn in all seiner Verzweiflung, Tragik und Hoffnungslosigkeit in meiner Freizeit auch noch total intensiv und krass „simulieren“ ? Ich weiß nicht.

    Ich habe heute das große Bedürfnis nach Sonne und Kinderlachen. Ich glaube, das sagt eine Menge.